milan
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Das urbane Leben hat etwas.

By Slam Jam

@slamjam

Geht man zur Tür hinaus, steht man sofort mitten im Leben, in einer Strömung, die einen völlig umgibt. Keine Frage – diese Strömung formt uns, sie verändert uns, in vielerlei Hinsicht. Doch um zu sehen, was genau die Menschen in Mailand bewegt und inspiriert, muss man tief unter die Oberfläche eintauchen.

Es gibt nicht viele Unternehmen, die so eng mit den Subkulturen der Jugend und ihren Einflüssen verbunden sind wie Luca Beninis Lifestyle-Powerhouse Slam Jam, das in den Straßen Mailands entstanden ist. Gemeinsam mit Slam Jam sprachen wir mit verschiedenen Gestaltern dieser Stadt, die die kulturelle Entwicklung Mailands in all ihren Facetten mit vorantreiben.

Von Mailänder Skateboardfahren, über Stadtplaner, bis hin zu den Wohnblocks in den Außenbezirken bietet dieser Leitfaden Einblicke für Besucher und Einheimische, mit denen man die Stadt aus einem ganz anderen Blickwinkel erkunden kann.

Um diese Partnerschaft zu feiern, haben Slam Jam und StockX gemeinsam ein Slam Jam x StockX (Un) Corporate Uniforms T-Shirt entwickelt, das ab dem 16. Dezember 2021 nur in begrenzter Menge auf StockX erhältlich ist. Klicke hier, um es jetzt zu kaufen.

Was auf der Straße passiert, bleibt auf der Straße

By Peter Wassili

@PeterWassili

Bildnachweis: @lele.lamb

Ich bin Peter Wassili, ich bin 22 und komme aus Mailand. Geboren und aufgewachsen bin ich in dieser Stadt, im nördlichen Vorort „Niguarda“. Meine Eltern sind Ägypter. Seit meiner Kindheit habe ich eine Leidenschaft für Motorräder und Autos, auch wenn sich in meiner eigenen Familie nie jemand dafür interessiert hat. Wenn Du denkst, dass ich nur wenige Leidenschaften habe, weisst Du nicht, wie sehr ich mich für das Videomachen interessiere. Ich mache Videos über Bikelife und dokumentiere alles, was ich tue.

Dein Instagram Feed unterscheidet sich von der Norm. Woher kommt deine Passion für das Motorrad fahren und seit wann beschäftigst du dich damit? 

Ich setzte mich für die Motorradkultur in Italien ein, einem Land, das sich diesbezüglich noch in der Entwicklung befindet. Mein Team und ich sind dabei, diese Kultur voranzutreiben. 2016 war ich noch alleine auf meinem Bike unterwegs und hab mich mit einer Gopro gefilmt. Im Laufe der Zeit wurde das alles etwas seriöser, jetzt sind wir in Gruppen unterwegs. Ich filme alles mit und versuche dabei, eine Geschichte zu erzählen. Bei den Dreharbeiten zu unseren Videos muss mich oft in irgendwelchen Kofferräumen verstecken, oder auf Motorrollern außerhalb des Frames mit den Bikes mitfahren, aber das ist eine andere Geschichte. Hier kann man ein paar meiner Videos sehen: https://youtu.be/Cd5cxgjxngo

Welche Motorräder standen schon in deiner Garage und welches Modell fährst du momentan?

Bis ich achtzehn war, konnte ich mir kein Bike leisten. Als ich 18 wurde, habe ich alle möglichen Jobs gemacht, ich war Kellner, Pizzabote und so weiter… und ich habe mir mein erstes Motorrad gekauft: Eine Derbi Drd 125 4t. Es war nicht das beste Motorrad, aber es war das einzige, das ich mir leisten konnte. Nach der Derbi hatte ich dann eine Husqvarna Sm 125 und eine Honda CRF 450. Zurzeit hab ich kein Motorrad, aber das da kommt noch was total Irres auf mich zu. Bleibt am Ball, Leute!

Wo ist die beste Straße in Mailand, um mit dem Bike einen Wheelie zu machen?

Es gibt meiner Meinung nach keine perfekte Straße für Wheelies. Wir bevorzugen Straßen, die weit außerhalb des Stadtkerns liegen, wo es auch vielleicht weniger Polizei gibt. Enorme Adrenalinschübe hat man auch, wenn man auf der Autobahn fährt.

Wurden du und deine Jungs beim Filmen jemals von der Polizei angehalten?

Nächste Frage. Was auf der Straße passiert, bleibt auf der Straße.

Welche Schuhe empfiehlt du fürs Motorrad fahren?

Wir Fahrer haben keine besonders glückliche Beziehung zu unseren Schuhen. Wir wechseln so oft den Gang, dass die Schuhe vom Getriebe ruiniert werden. Einen Fahrer kann man immer an seinem linken Schuh erkennen. Ich trage immer Nike TN oder Air Force 1, und letztere immer in Weiß; in Schwarz würde ich sie nicht mal als Scherz tragen.

Was sind deine Lieblingsorte in Mailand? Wo hängst du gerne ab und findest Inspiration für deine Videos?

Zu meinen Lieblingsorten gehört  auf jeden Fall meine Garage. Normalerweise nutzen Leute ihre Garage um ihr Auto oder Motorrad abzustellen, bei mir schaut das anders aus. Ich hab mit meinem Freund Davide, von dem ich schon erzählt habe, in der Garage ein kleines Studio eingerichtet. Hier verbringen wir fast alle unsere Tage und Abende, hier erschaffen wir neue Sachen und arbeiten an unserer Marke “24/7 Fastlife”. Da ist schon so einiges passiert, und wir werden von hier aus Geschichte schreiben.

Ein weiterer Ort, den ich mag, ist das Dach auf dem Wohnhaus eines Kumpels von mir. Er wohnt im 2. Stock eines 16-stöckigen Hochhauses. Wir nehmen immer unsere Stühle und gehen zum Chillen aufs Dach. Von dort aus können wir ganz Mailand sehen. Wir sitzen dann da und schlagen die Zeit mit Trinken und Rauchen tot. Eines nachts bin ich sogar mit meinem Motorrad über das Dach gekurvt. Fragt nicht, warum.

Zu guter Letzt möchte ich noch mein eigenes Viertel erwähnen, insbesondere den Innenhof bei mir zu Hause. Ich wohne an einem Innenhof, der aus 4 Gebäuden besteht, die ein Quadrat bilden. Seit meiner Kindheit fahre ich mit meinen Freunden mit dem Fahrrad dort rum. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft wir mit Leuten oder Autos zusammengeprallt sind, als wir um die Ecken gefahren sind. Wir waren halt jung, wir sind immer mit vollem Tempo in die Kurven gegangen. Ich denke, es macht einen Unterschied, wo man aufwächst. Wenn ich woanders aufgewachsen wäre, wäre ich nicht der, der ich heute bin. Ich wäre garantiert nicht hier und würde mit euch sprechen. Davide wohnt ein Stockwerk über mir. Wir sind zusammen aufgewachsen, aber was ist das für ein unfassbarer Zufall, dass er genau in meinem Haus aufwächst? Es war Schicksal. Dass ich ausgerechnet hier zur Welt gekommen bin, ist bestimmt kein Zufall.

Was ist dein Lieblingssoundtrack beim Motorradfahren?

Etwas abgenutzt

By Nicoló Taliani

@_nitacollection

Bildnachweis: @beadegiacomo

Mein Name ist Nicoló, aber meine ältesten Freunde nennen mich Schniko. Momentan lebe ich in Mailand. Nach meinem Industriedesign-Studium an der Central Saint Martins habe ich die letzten 20 Jahre damit verbracht, eine visuelle Sprache zu entwickeln, die in alle Richtungen übersetzt werden kann.

Als Künstler hast du bereits auf der ganzen Welt gelebt.. Was hat Sie dazu bewogen, wieder nach Mailand zu ziehen?

Ich war in den USA und habe einem meiner besten Freunde, Christian Rosa, in seinem Studio in L.A. zur Seite gestanden, zwei Jahre lang, zu diesem Zeitpunkt kam seine Karriere richtig in Fahrt und wurde ziemlich bekannt.. Mit allem Drum und Dran, wenn du verstehst, was ich meine. Ich hatte meinen eigenen Bereich im Studio, da konnte ich Skulpturen schaffen. Ich fing an, mit Schmuck zu arbeiten, indem ich einem Spinner namens Snarky behilflich war. Er war aus irgendeinem amerikanischen Bundesstaat geflohen und stellte Ringe für ein Swinger-Camp auf dem Burning Man Festival her. Bis L.A. hatte ich mich vorwiegend auf Beleuchtung und Möbel konzentriert. Dann dämmerte mir plötzlich, dass Norditalien, insbesondere Mailand, einfach der beste Ort zum Leben war, um all das tiefer zu erkunden. Also kam ich hierher. Im Norden Italiens hat sich ein dichtes Netz von Städten entwickelt, die sich auf die Herstellung bestimmter Produkte spezialisiert haben, also beispielsweise Leder oder Holz oder Metall, bis hin zu allen möglichen handwerklichen oder industriellen Herstellungsverfahren oder Produkten. Also zum Beispiel Frosolone, die “Stadt der Messer”, oder Burago di Molgora, wo Burago herkommt, die berühmte Traditionsfirma für Spielzeugautos.

Gibt es bestimmte Orte in Mailand, von denen du dich für deine Kunst inspirieren lässt?

Was mich an Mailand insgesamt reizt, ist, dass es eine Patchwork-Stadt ist. Man läuft herum und hat keine Ahnung, was sich hinter der nächsten Ecke verbirgt. Die Gebäude, die Menschen, das Essen. Es ist alles da, alles tut sich vor einem auf. Man hat das Gefühl, dass es in Mailand alles gibt, was nur irgendwie denkbar ist, nur noch künstlerischer und schöner als irgendwo sonst. Das ermöglicht es mir, mich von der modernen Welt inspirieren zu lassen. Ich greife Anregungen aus der Bildhauerei, der Architektur, der Kunst und der städtischen Kultur auf und gestalte sie zu etwas Neuem um, egal, ob dabei nun etwas Zweckmäßiges oder eher Abstraktes rauskommt. Vermutlich spiegelt das auch meinen dekonstruktivistischen Ansatz wider, bei dem ich sehr unterschiedliche Elemente nehme, sie auseinandernehme und zu etwas Neuem zusammensetze. Wenn das Ergebnis mich selbst überrascht, weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Das ist die Art und Weise, wie ich die Welt um uns herum beschreiben möchte. Gedanken, Philosophien und Ideen, die sich in einer Mischung aus rohen Elementen manifestieren, die zusammengefügt werden, um auf unterschiedliche Weise Form und Funktion zu erhalten. So kann jeder Zugang zu neuen Ideen haben, und sich eine Meinung dazu bilden. Das ist Fortschritt.

Du hast vor Kurzem deine eigene Schmucklinie gelaunched. Bitte erzähle uns ein wenig mehr über dein Konzept.

Ja, die Unity-Collection, die ich in Zusammenarbeit mit Kenneth Ize entworfen habe, zielt darauf ab, Nita (die Schmuck- und Wohndesign-Marke, die meinen Namen trägt) über ihre grundlegende Bedeutung primärer architektonischer Formen hinaus zu lebendigen Darstellungen der menschlichen Spezies zu führen. Ich will damit die Klassifizierungen – insbesondere Gender und Ethnie – völlig untergraben, indem ich Individualität und Zusammenhalt zelebriere. Konkret gesagt verweisen die 12 verschiedenen Motive auf die Kraft der Vielfalt. Die gläsernen Gesichter, die die Kollektion verankern, sind sehr ausgeprägt und unverwechselbar, aber gleichzeitig bezieht sich die Kollektion auch auf die einzigartigen Stilrichtungen ihrer beiden Designer: Ize, und der Nita-Gründer Nicolo Taliani. Obwohl beide Stilrichtungen in der Kollektion vereint sind, bleibt die kreative DNA erhalten und unterstreicht so das Ideal der Einheit, die unsere Unterschiede zelebriert, anstatt sie auszulöschen. Die Unity-Collection ist ein ästhetischer Neustart für Nita, wobei sich jedoch die künstlerische Philosophie dahinter direkt mit den vorherigen Arbeiten des Studios deckt. Die Kollektion verwischt disziplinäre Grenzen, indem sie Industrie- und Modedesign, sowie bildende und angewandte Kunst miteinander verbindet. Die Designs sind von Gemälden inspiriert, aber sie sind aus Glas, ein Medium, das etwas Besonderes und Einzigartiges hat: Kein Glasprodukt gleicht dem anderen, so wie auch keine zwei Menschen gleich sind.

Zu guter Letzt: Wo gehe ich am besten aus in Mailand?

Der beste Ort, um sich einen Drink zu gönnen, ist sicher . Ich war einmal an einem Donnerstagnachmittag auf einen Aperitivo da und kam am Montagmorgen etwas angeschlagen wieder heraus. Ich weiß nicht, ob ich diese Erfahrung empfehlen kann. Vielleicht ist es besser, sich ein wenig zu zügeln und nach ein paar Drinks wieder nach Hause zu gehen.

Skateboarding in Mailand

By Joy Awosika

@joyawosika

Bildnachweis: @on_the_dole_joel

Hallo zusammen, mein Name ist Humanjoy, aber alle nennen mich Joy. Meine Eltern kommen aus Nigeria ich bin jedoch in Mailand geboren und aufgewachsen und bin Skater. Ich habe an meinem Geburtstag mit dem Skaten angefangen, als ich nach einem als Geschenk fragte. Ich weiß nicht warum, aber seitdem habe ich nie aufgehört zu hoffen, dass eines Tages zu meinem Beruf wird.

Was ist deine Meinung über die Mailänder Skate Szene?

Die Skateszene in Mailand ist seltsam; meiner Meinung nach muss sie sich erst noch entwickeln. Eigentlich ist es noch zu früh, darüber zu sprechen, denn sie verändert sich ständig. Marken kommen und gehen. Auch wenn die Marken die Szene nicht prägen, sind sie doch wichtig. Heute gibt es viel weniger Skater als damals, als ich angefangen habe. In gewisser Hinsicht ist die Szene gerade im Entstehen, weil man Mailand jetzt in sehr viel mehr Skating-Videos sehen kann. Und weil es einige Marken und Geschäfte gibt, die die Skateboarder unterstützen. Andererseits gibt es nicht so viele Skater, und daher auch weniger Gruppen. Es wäre besser, wenn man mehr Leute für Sessions hätte und Spaß haben kann.

Was sind deine 3 Lieblingssongs beim Skateboardfahren?

It’s Ok (One Blood) – The Game
Faneto – Chief Keef
CT Experience – DJ Crazy Toones

Wie nimmst du die Jugendkultur in Mailand wahr? Wie unterscheidet sie sich von anderen Metropolen wie zum Beispiel London oder Paris?

Ich denke, dass junge Menschen in ganz Europa ziemlich motiviert sind, ihre Kunst voranzutreiben. In Italien entwickeln sich gerade ziemlich viele neue Kulturen und Ausdrucksformen. Ich persönlich habe einige Freunde, die innovative und künstlerische Projekte für die heutige Generation angehen.

Wer oder was repräsentiert Ihrer Meinung nach Mailand?

Ich glaube, dass Mailand am besten von jungen Menschen repräsentiert wird. Denn meiner Meinung nach sind wir es, die die Stadt mit unserer Kunst, unserer Leidenschaft und unserer Kultur prägen. Mailand wächst und entwickelt sich ständig, genau wie junge Menschen, und junge Menschen sind die Zukunft.

Wenn Sie eine Sache an Mailand ändern könnten, was wäre das?

Ich finde, Mailand ist perfekt. Wenn ich etwas ändern müsste, dann würde ich mich dafür einsetzen, dass mehr Menschen die Skateboard-Kultur akzeptieren. Ich skate ja nicht, weil ich die Stadt kaputt machen will, sondern weil ich einfach Spaß haben will. So ist das. Insgesamt lässt die Skateboard-Kultur in Mailand zu wünschen übrig, aber das ändert sich mit der Zeit. Aber ein paar bessere Spots zum Skaten würden auch nicht schaden, haha. Mailand ist eine Stadt, die sich ständig entwickelt. Mal gibt es neue Spots, dann verschwinden sie wieder.

Was sind deine Lieblingsorte in Mailand? Wo treibst du dich rum? Wo findest du Inspiration? Und was gefällt Ihnen an diesen Orten?

Mein Lieblingsspot zum Skaten in Mailand ist in Gratosoglio, da bin ich zum ersten Mal Skateboard gefahren. Mit meinen Freunden gehe ich oft in die Innenstadt von Mailand und in Richtung Navigli, da gibt es haufenweise Clubs, wo man abends Rapper und andere Musiker anhören kann. Ich skate in ganz Mailand, aber ich bin immer in der Nähe!

Die Evolution Mailands

By Dafne Boggeri

@sprintmilano

Ich bin nach Jahren intensiver Action in der Hip-Hop-Szene aus einem kleinen Dorf in einem piemontesischen Tal nach Mailand gezogen und habe mit meinem Co-Autor Blef unter dem Namen „Duo Dinamico“ nachts Züge bemalt. Ich habe die erste Ausgabe der Non-Profit-Messe SPRINT – Independent Publishers and Artists‘ Books eröffnet, die Saras und mein Interesse am Verlagswesen vereint. Seit 2018 arbeitet SPRINT mit Spazio Maiocchi zusammen. Was die Gegenwart angeht, konzentriere ich mich neben der laufenden Verlagsmesse hauptsächlich auf meine künstlerische und wissenschaftliche Praxis und hoffe, bald wieder in Clubs tanzen zu können!

Die kulturelle Landschaft Mailands hat sich im Laufe der Jahre stark verändert, und Sie haben diese Veränderungen miterlebt. Was waren die einschneidendsten Veränderungen?

Ich kann definitiv sagen, dass sich Mailand im Laufe der Jahre stark verändert hat. Ein positiver Wendepunkt war für mich der Kontakt mit Menschen der jungen Generation. Sie gehen mit der Kulturszene und dem rasanten Kapitalismus anders um, und sie setzen sich mit reellen Themen in einem konstruktiven Dialog auseinander. Das wurde früher von meinen Altersgenossen und der Kunstszene insgesamt als Tabu angesehen. Es ist eine selbstbewusste Haltung, die sich immer mehr verbreitet. Sie hat bereits dazu geführt, dass mit Art Workers Italy die erste Vereinigung zum Schutz der Rechte von Beschäftigten im zeitgenössischen Kunstbetrieb gegründet wurde. Andererseits hat Mailand im Laufe der Zeit auch einige negative Veränderungen durchgemacht. Ich denke an die “YES Milano”-Kampagne und ihre abwertende Dynamik, die das kulturelle Angebot auf thematische “Wochen” reduziert – oft überlagert von einem bulimischen Katalog von Möglichkeiten, die über das ganze Stadtgebiet verstreut sind und oftmals viel zu schnell und scheinbar nach Zufallsprinzip aktiviert werden.

Für SPRINT kollaborierst du viel mit internationalen Autoren zusammen. Wie nehmen diese Besucher Mailand und die hiesige Kulturszene wahr?

Ich glaube, es ist eine echte Entdeckung für sie. Es scheint, als würden sie die Stadt richtig wahrnehmen, und nicht nur als einen Punkt auf der Landkarte. Auch wenn die Tage der SPRINT Art Book Fair hektisch sind, kann man den Charme der Stadt durchaus spüren, insbesondere des Porta Venezia-Viertels, wo die Messe stattfindet. Während der Veranstaltung haben die Besucher die Möglichkeit, sich direkt mit uns Mailändern auszutauschen, und dabei werden oftmals bleibende Kontakte aufgebaut.

Mit dem Kollektiv TOMBOYSDON’TCRY arbeitest du mit der Queer-Community zusammen. Wie denkst du über die queere Szene in Mailand? Haben die Menschen genügend Möglichkeiten, sich frei zu äußern?

Auf institutioneller Ebene gibt es in Mailand, wie in ganz Italien, leider keine Anzeichen für eine wirkliche Integration der queeren Community. Diese muss sich ihren eigenen sozialen, beruflichen und emotionalen Raum schaffen, und wird oftmals einfach nur als eine kommerzielle Zielgruppe oder als eine Art Fassade angesehen, ohne dass auf ihre Bedürfnisse wirklich eingegangen wird. Angefangen von der Benachteiligung in der Gesetzgebung, sowie mangelnder Gleichberechtigung und Intersektionalität, bis hin zu einer breiteren Perspektive was Themen wie Arbeit, Migration oder die Dynamik der Staatsbürgerschaft [siehe Jus soli] angeht. Die am meisten gefährdeten Personen, und das ist ein breiter Kreis, der uns alle berührt, werden nicht genügend geschützt. In der Praxis sieht es aber so aus, dass viele Menschen in Mailand durchaus einen Unterschied bewirken. Die Leute ziehen in diese Stadt, weil sie hier mehr Unabhängigkeit und Akzeptanz erfahren, im Gegensatz zu der provinziellen Mentalität ihrer Heimat, also den Gegenden, aus denen viele dieser Menschen kommen. Es gibt einige Orte, an denen man sich wohlfühlen kann – ich denke da an die Lesbenbar oder den queeren Buchladen . Eine größere Stadt steht natürlich für kulturelle Offenheit, und das macht manchmal einen Unterschied aus. Aber man darf auch nicht vergessen, dass dies nur ein kleiner Teil einer größeren und komplexeren Realität ist…

Du engagierst dich schon seit vielen Jahren in der Kulturszene. War es ein harter Weg, bis du deiner Leidenschaft nachgehen konntest? Welche Tipps hast du für junge Kreative welche einen ähnlichen Weg einschlagen wollen?

Um ganz ehrlich zu sein, haben sich in meinem Leben viele Dinge zufällig ergeben. Ich rate dazu, sehr ehrlich mit sich selbst zu sein, was die persönlichen Stärken und Schwächen angeht. Man darf sich von Misserfolgen nicht entmutigen lassen. Oftmals ist es Glückssache: Sei hartnäckig, geh Risiken ein, dann wirst du das Erreichen wonach du strebst.

Und zu guter Letzt glaube ich, dass uns ein wenig  Humor alle retten wird!

Neuanfang

By 2050+

@2050.plus

2050+ ist eine interdisziplinäre Agentur, die in den Bereichen Design, Technologie, Umwelt und Politik arbeitet. Website: https://www.2050.plus/

Was ist eure Prognose für die Stadtentwicklung von Mailand für die nächsten zwanzig Jahre

Zunächst durch eine erweiterte, umfassendere und differenziertere Definition der Stadt und ihrer Bewohner. Die meisten öffentlichen Investitionen orientieren sich immer noch an der veralteten Logik einer “zentrierten Stadt”, die von einer klaren hierarchischen Beziehung zwischen dem Stadtkern und den Vororten ausgeht. Aber die heutige Situation ähnelt eher dem Konzept des “Stadtarchipels”: ein komplexes Netzwerk, in dem verschiedene Visionen von Gesellschaft, Ökologie und der bürgerlichen Gesellschaft aufeinandertreffen (und manchmal auch kollidieren). Mailand ist das instabile und sich ständig verändernde Ergebnis eines ewigen Dialogs widersprüchlicher Interessen. Die Stadtplanung von morgen muss sich mit diesem Paradigmenwechsel auseinandersetzen und entsprechend reagieren.

Konkret müssen wir beispielsweise Mobilität neu konzipieren (es ist notwendig, innerhalb der Verkehrssysteme zunehmend auf fossile Brennstoffe zu verzichten und erneuerbare Energien zu nutzen); und auf die Beziehung zwischen städtischem Raum und der “Wildnis” (es werden Verbindungssysteme zwischen den Grünflächen der Stadt benötigt, die im Moment größtenteils nicht miteinander verbunden sind, und die nicht leicht zu erreichen sind).

Mit welchen Problemen hat Mailand heute vorwiegend zu kämpfen, und was sind eure Lösungsansätze?

Mailand ist ein Stadtgebiet, das von Reibungen geprägt ist: vom zunehmend gewalttätigen Druck der Gentrifizierung über die Umweltverschmutzung bis hin zu einer kurzsichtigen Politik im Umgang mit den Migranten in der Stadt – um nur einige zu nennen.

Eine der Schwachstellen, die in letzter Zeit immer klarer erkennbar wurden, insbesondere während des Lockdowns, ist der allmähliche Verlust von Möglichkeiten, sich mit dem Unerwarteten, dem Unbekannten auseinanderzusetzen. Seit Monaten schon gibt es kaum noch Chancen für Improvisation oder zufällige Begegnungen, dazu fehlt uns der Raum. Unsere Interaktionen haben sich in der Zeit vor der Pandemie verfestigt, und sie haben sich seitdem nicht ausgeweitet. Auch wenn eine “social distancing” in der Zeit nach der Pandemie unvermeidlich scheint, sind sichere Räume, die eine “soziale Annäherung” ermöglichen, nach wie vor wichtig. Mailand braucht mehr “nicht kodifizierte” Räume, in denen Individuen spontan interagieren können, ohne sich an irgendwelche Vorgaben zu halten.

Trotzdem haben wir aus der Erfahrung des Lockdowns eine wichtige Lehre gezogen. Als wir gezwungen wurden, uns in den privaten Raum zurückzuziehen, wurden die Funktionen des häuslichen Umfelds erweitert: vom persönlichen Bereich, einem Vorrecht der Intimsphäre … zu einem allumfassenden Raum, der in der Lage ist, sich neu zu erfinden, in dem Platz ist für Arbeit, Studium, Freizeit und Sport. Die gleiche Vielseitigkeit des häuslichen Raums, die wir während des Lockdowns erlebt haben, könnte die Ausbreitung “nicht kodifizierter” Orte im städtischen Raum inspirieren: Dächer, Flure, Gemeinschaftsgärten…

Sollte Mailand einen Neuanfang wagen?

Was Mailand angeht, bedeutet “neu anfangen” nicht nur, die Wunden des Lockdowns zu heilen, sondern auch, diesen Moment der erzwungenen Selbstanalyse zu nutzen, um bestimmte festgefrorene Dynamiken aus den Angeln zu heben und die Messlatte höher zu legen. Bei unseren Recherchen in Mailand haben wir festgestellt, dass das pulsierende Herz der postpandemischen Stadt nicht ein einziger abgegrenzter Ort ist, sondern eine komplexe und sich ständig verändernde Kartografie, die aus Grenzräumen besteht, und diese Grenzräume werden von Individuen definiert. Ich meine damit Gemeinschaften, die in ständigem Wandel begriffen sind, beispielsweise Menschen, die unsere Pakete liefern, aber auch Arbonauten, die auf Bäume klettern, oder auch Straßentänzer; eben Menschen, die sich nicht an starre Grenzen halten, sondern die ihre Inspiration aus Zwischenräumen und aus dem Kontakt zu anderen Ideen beziehen. Sie sind die Gesprächspartner, bei denen Mailand neu ansetzen muss.

Gibt es weltweit Beispiele für Stadtplanung, von denen sich Mailand inspirieren lassen sollte?

In einem Artikel, der vor fast einem Jahr veröffentlicht wurde, schrieb Paul B. Preciado über das eklatante Versagen aller großen Städte – von Paris über London bis New York und natürlich Mailand – während der Pandemie. “Kommen Sie zurück, kommen Sie bald aus dem Urlaub zurück, weniger als hundert Kilometer von zu Hause entfernt, rennen Sie in Ihre Wohnung, die Maske am Handgelenk, wie ein Talisman, der das Virus zerstreut. Sie wären gerne auf einer einsamen Insel im Meer, sehr weit weg, an einem Ort, wo Sie weder Lampedusa noch Calais sehen können. Stattdessen waren Sie gezwungen, in der Normandie zu bleiben. Und nun scheint die Normandie weiter von Paris entfernt zu sein als je zuvor. Kehren Sie zurück in Ihre Städte, kehren Sie zurück zur Verschmutzung und zum Lärm, bevor sich Ihre Lungen und Ohren an die Symphonie des Landes gewöhnen. Kehren Sie zurück in das Labyrinth der U-Bahn. Fangt von vorne an, halten Sie endlose Meetings ab. (…)” (Libération, 21.09.20)

Inspiriert von Preciados Worten, und ganz im Gegensatz zum aktuellen Trend, richten wir also unseren Blick nicht auf die großen Weltstädte anderer Länder, sondern auf eine kleinere Wirklichkeit, die relativ nahe ist: Palermo. Palermo hat ein komplexes und gut gegliedertes Stadtgefüge, in dem eine Reihe widersprüchlicher Kräfte aufeinandertreffen: von den gleichzeitigen Auswirkungen des internationalen Massentourismus und der Migrationsströme über den illegalen Handel, bis hin zu der wirtschaftlichen Knappheit, die den Süden Italiens seit jeher kennzeichnet.

Als Palermo 2018 Gastgeber des Manifest 12 war, hat die Stadt bewiesen, dass sie ein Kunstevent von internationalem Ruf ausrichten konnte, ohne dabei ihre Identität zu vernachlässigen. Der Facettenreichtum Palermos stand Seite an Seite mit dem Programm des Garibaldi Theaters und des Botanischen Gartens (dem Zentrum der Manifesta 12), sowie mit Ballarò und Vucciria. Die künstlerische Initiative konnte stattfinden, ohne Außengebiete wie ZEN 2 und Acqua dei Corsari von der Diskussion auszuschließen.

Shoutout an Dipset

By Juan Pozo

@juanter.s.thompson

Ich bin Amerikaner und lebe und arbeite in Mailand. Ich bin hierher gezogen, um zu arbeiten, nachdem ich 12 Jahre in NYC gelebt hatte. Meine Leidenschaft gilt wohl Design und Kunst im Allgemeinen, aber meine größte Leidenschaft sind Sneaker. Derzeit arbeite ich als Herrenschuhdesigner bei Prada Linea Rossa.

Wie erklärst du dir deine Leidenschaft für Sneaker?

Das ist schwer zu sagen, aber ich denke, dass mein Vater einen guten Geschmack hatte, als er mir in meiner Kindheit Sachen kaufte; es gibt einige tolle Fotos von mir in Reebok Pumps und Nike Flight 89s. Ich glaube, bei meinen frühsten Erinnerungen in Sachen Design ging es um Fußball, und meiner Besessenheit mit den originalen silber-blauen Nike R9 für Ronaldo. Ich erinnere mich auch noch, dass ich mal den ersten Air Max Plus III in Schwarz und Rot hatte. Ich habe auf die ganzen Details gestarrt, auf die kleinen Teile aus reflektierendem Material. Und dann ist da noch Hip-Hop. Und die Tatsache, dass ich im Sommer ab und zu nach New York oder New Jersey gereist bin. Dort habe ich meine ersten komplett weißen Air Force Ones gekauft. Die konnte ich in meiner damaligen Heimat Florida nicht finden.

Momentan designst du Sneaker für Prada. Wie unterscheidet sich deiner Meinung nach die Wahrnehmung von Sneakern zwischen einem Sneakerheads und dem traditionellen Luxuskonsumenten

Die Mehrheit der Luxuskonsumenten sind reiche Materialisten, die irgendwelchen Scheiß kaufen, weil sie hoffen, dass sie sich dann besser fühlen. Der Rest sind Menschen mit gutem Geschmack, die innovatives Design zu schätzen wissen. Für mich ist ein Sneakerhead ein Kind, das einen Schuh von jeder beliebigen Marke geil finden würde, und sich nur deshalb für bestimmte Produkte interessiert, weil so was eben eine Gefühlssache ist, und nichts mit Hype oder Instagram usw. zu tun hat.

Wovon lassen Sie sich bei der Gestaltung inspirieren?

Die Form. Wenn ich skizziere, suche ich nach etwas, das mich auf irgendeiner Ebene anspricht. Ist es aggro? Ist es schnittig, ist es schnell?  Es ist wie bei Autos: Manche wirken aggressiv, andere klobig und langsam. Wenn mir etwas auffällt, mache ich immer unwillkürlich dasselbe Gesicht wie Jay-Z, wenn er einen Beat hört, der bei ihm was auslöst.

Wie unterscheidet sich die Sneakerszene in Mailand von der in den USA?

In den USA ist sie zugänglicher, allein schon wegen der vielen verschiedenen Städte, an denen man etwas finden kann. Vor allem in New York City, wo Sneaker seit Run DMC oder noch früher einfach Teil der Kultur sind. Das ist Hip-Hop. Mailand hat eine junge Szene; es gibt ein paar wirklich tolle Läden, in denen man coole Sachen finden kann. Ich bin noch nicht lange genug hier, um mehr dazu zu sagen, aber ich weiß, dass es in dieser Stadt viele leidenschaftliche Menschen gibt, die mehr dazu sagen könnten.

Was ist dein absoluter Lieblings-Sneaker und warum?

Nike Air Force Ones, bevor sie anfingen, sie aus Pappe herzustellen. Shoutout an Dipset.