Vor ungefähr dreißig Jahren stand der Begriff Streetwear für eine kleine Gruppe von Menschen, die leidenschaftlich gerne Skateboard fuhren, surften und Rap hörten. Heute ist es ein Trend, der die ganze Welt beherrscht, der auf den Laufstegen von Luxusmarken zu sehen ist und mit T-Shirts, Kapuzenpullis und Sneakers Zeitgeschichte erzählt. Dies alles lässt sich auf auf einen einzigen Namen zurückführen und ist sein Verdienst: Shawn Stussy.
Alles beginnt in den frühen 1980er Jahren in Laguna Beach, Kalifornien, als Shawn anfängt, Surfbretter herzustellen. Seine grosse Begeisterung für das Meer hatte ihn schon immer in diese Richtung gelenkt, nämlich inmitten dieser Umgebung völlig entspannt zu leben. Seine kreative Ader wird allerdings konkreter, als er auf eines der von ihm produzierten Surfbretter spaßeshalber seinen Namen “Stussy” kritzelt. Die Hauptinspiration des jungen Shawn kam von seinem Onkel Jan Stussy, einem renommierten amerikanischen Künstler, Professor und Filmproduzenten.
Auf der Action Sports Retailer, einer Fachmesse für Sportartikelhersteller, findet Shawn sein Eldorado.
Der junge Shawn Stussy mit einem seiner ersten gebrandeten Boards.
“Es geschah bei den Messen 1981 und 1982. 1980 habe ich Surfbretter hergestellt und Stussy darauf geschrieben”, sagte Stussy 2013 in einem Interview mit Empire Ave. “Ich hatte keine Ahnung, ich war ja zuvor noch nie auf einer Messe. Also sagte ich: “Lass uns ein paar schwarze Hanes-T-Shirts drucken”. Ich habe sie in weiß mit Stussy bedruckt, wie Alva, weißt du? Ich war drei Tage lang dort und habe etwa 24 Boards verkauft. Aber jede und jeder Einzelne kam zu mir und sagte:
“OK, ich nehme ein Board oder zwei, aber wie viel kosten denn die T-Shirts? Und ich antwortete: “Ich weiß es gar nicht, sie sind eigentlich nicht verkäuflich”. “Ich würde aber gerne 24 davon kaufen”. Also sagte ich: “OK, das sind dann 8 Dollar”.
Der Erfolg von Stussy wurde nicht von einem Investor mit vollem Portemonnaie geplant oder herbeigeführt. Er entstand einfach nur aus einer grossen Leidenschaft heraus, die zum Symbol einer Generation und sogar einer ganzen Ära wurde.
1984: Offizielle Gründung von Stussy
Die unerwartete Nachfrage nach den vom jungen Shawn entworfenen T-Shirts wurde immer beeindruckender. Mit Hilfe seines Freundes Frank Sinatra Jr., der ihm 5.000 Dollar bot, um sein Partner zu werden, wurde die Marke 1984 offiziell gegründet, und zwar mit dem Ziel, Kleidung zu verkaufen. In dieser Zeit beeinflusste der Siegeszug der Rap-Musik und der Punk-Szene die DNA von Stussy wie ein rundherum vielseitiger kultureller Katalysator.
Aber noch vor der Musik positionierte sich Shawn als Anti-Luxus-Label, denn eines der ersten erfolgreichen Designs war das “Stussy No.4 Pigment Dye Tee”, das das Chanel-Logo mit den sich kreuzenden S widerspiegelte. Mit dieser rebellischen Ader wurde die kalifornische Marke in allen Hauptstädten der Welt zum Idol aller Subkulturen, von Rap, Skate und DJing bis hin zu Graffiti-Writern.
“Der Punk durchbrach kreative und ästhetische Grenzen und lehrte uns, dass jeder eine Band haben kann. Der Rap verschob soziale Grenzen und experimentierte mit den Techniken von Remix und Sampling. Diese neuen Ansätze und Konzepte schufen eine neue, moderne Plattform für Mode und kulturellen Ausdruck”, heißt es auf der Website von Stussy über die Geschichte des Unternehmens.
1987 war es Stussy gelungen, einen Absatzmarkt in Japan, Europa und Australien zu erobern, der Anfang der 1990er Jahre bereits einen Umsatz von 17 Millionen übertraf. Ein weltweiter Erfolg, der schon immer parallel zu den Begriffen “Marketing” oder “Marktstrategie” lief. Ehrlich gesagt war Shawn Stussy eigentlich weit entfernt von der Idee, eine Marke zu gründen. Sein einziges und wahres Lebensziel bestand darin, das Rauschen des Meeres zu hören, zu surfen, ganz in Ruhe eine Familie zu haben und alles in allem ein slow life zu genießen.
Keine Bekleidungsmarke, sondern eine Community: International Stussy Tribe.
Oben: die historische Varsity-Jacke (erstmals 1991 auf der “Gold Party” in Tokio vorgestellt) aus der International Stussy Tribe-Kollektion.
Für Shawn bedeutete die Gründung von Stussy vor allem, einen engeren Kreis von Freunden zu entwickeln, ohne weitere Absichten. Eine Community, die die Marke auf authentische Weise, aus reiner Freundschaft und Leidenschaft feiert. So wurde der International Stussy Tribe ins Leben gerufen, der sich aus damals noch relativ unbekannten Personen zusammensetzte: Hiroshi Fujiwara, James Jebbia, Dante Ross, Luca Benini, Jules Gayton, Alex Turnbull, Goldie, Mick Jones, Barnzley Armitage, James Lebon und viele weitere.
1991 flogen alle zur ersten Party des International Stussy Tribe nach Tokio, und es war alles andere als ein Zufall, dass die Wahl auf Japan gefallen war. Es war das Land, das Shawn aufgrund seiner avantgardistischen Trends, der hohen Qualität der Herstellungsverfahren und seiner stets an der Entdeckung von Neuem interessierten Bevölkerung am meisten beeinflusst hatte.
Um die Individualität jedes Einzelnen zur Geltung zu bringen, kreierte Shawn bestickte Varsity-Jacken mit leuchtenden Farben und Ärmeln aus Leder. Bis heute werden sie in regelmäßigen Abständen neu auf den Markt gebracht und sind immer im Handumdrehen ausverkauft. In jeder Werbekampagne von Stussy waren sie alle zu sehen sowie ein gekritzelter Slogan des Gründers.
Von Links: das Team von New York, Jules Gayton, Mittleman, Ross, Kevin Williams und Jeremy Henderson, 1987; das Team von London, Kopelman, Armitage, Turnbull, Lebon und Jones, 1989.
Die Energie der Gruppe war das wahre Lebenselixier der Marke Stussy. Dieses Gefühl der Vertrautheit und der reinen Zuneigung machte Stussy zu einem Orientierungspunkt für alle Jugendlichen, die sich ohne weiteres damit identifizieren konnten. Es ging um Musik, Skateboarding, Anti-Konformismus und das Projekt wurde von einem jungen kalifornischen Surfer geleitet.
“Stussy hatte schon immer mit authentischen Menschen und echten kulturellen Erfahrungen zu tun”, sagte Fraser Avey, Global Director von Stussy, in einem Interview: “Von den Anfängen, als Shawn TSI gründete, bis heute ist die internationale Comunity rund um die Marke ein wirklich ganz besonderer Aspekt, den wir niemals missen möchten”.
Doch an einem gewissen Punkt war Shawn nicht mehr zufrieden mit seinem Job. Seine Vision, bei der er viel mehr Wert auf Kreativität als auf Profit gelegt hatte, d. h. die von Sinatra vertretene, schien immer mehr zu verblassen. So zog sich Shawn Stussy im Januar 1996 von der Marke zurück und verließ das Management unwiderruflich. Als die Marke wuchs und viele Teile der Erde erreichte, nahm die Arbeit in einem so starken Maße zu, dass sie Zeit für das Wichtigste raubte: die Familie.
Stussy nach Stussy
Seit 1996 ist Shawn Stussy (formell) nicht mehr an seiner Marke beteiligt, sondern überlässt alles seinem Partner Sinatra. Im selben Jahr verzeichnete Stussy mit 21 Mio. Dollar gegenüber 35 Mio. Dollar im Jahr zuvor den tiefsten Stand seines Umsatzes. Das Team wurde daraufhin mit Frank Sinatra Jr. an der Spitze umstrukturiert: Nick Bower wurde Chefdesigner, während Paul Mittelman 1997 zum Kreativdirektor ernannt wurde. Ab diesem Zeitpunkt ist Stussy trotz der belastenden Abwesenheit seines Leitsterns weiter gewachsen, sowohl in Bezug auf die Relevanz für den neuen modernen Streetwear-Trend, als auch in Bezug auf den Umsatz, der im Jahr 2015 50 Millionen Dollar erreichte.
Shawn Stussys Einfluss ist nach mehr als 35 Jahren immer noch spürbar und hat zweifellos dazu beigetragen, den “Abstieg” des Luxus in die Street Culture zu markieren, nicht jedoch das, was er zu Beginn seiner Karriere anstrebte, wie er 2018 in einem Interview für die Vogue erklärte.
“Zur gleichen Zeit hatte unsere kleine Kultur begonnen, größer zu werden und sich zu verändern. Ja, und es wurde zum Supreme-Modus – James (Jebbia) hat sich mit Supreme wirklich gut geschlagen. Und dann, in jüngerer Zeit, der Zusammenschluss mit dem großen Konglomerat, das Geschäftsmodell – die echten Luxusmodeartikel. So veränderte sich die Welt, die ich ausgebrütet hatte, in etwas anderes”.
Seine Vision lebt in den Produkten jedoch bis heute weiter. Seine Liebe zur Hip-Hop- und Non-Hip-Hop-Musik zeigt sich beispielsweise in seinen Hommagen an Bob Marley, Eric B & Rakim und seiner Zusammenarbeit mit der bekannten MTV-Sendung “Yo, Raps!”. Gleichzeitig hat Stussy erfolgreiche Partnerschaften mit Dior, Comme des Garcons, Noma t.d., Nike, Our Legacy und vielen weiteren geschlossen.
Von den Stränden Kaliforniens aus hat Stussy den ganzen Globus erobert. Und er hat keineswegs die Absicht, dies zu beenden.
Die Unterschrift von Jan Stussy, Inspirationsquelle für das Markenlogo von Shawn.
Eine Vintage – Werbeanzeige zur Eröffnung des Stussy-Geschäfts in Harajuku (Tokio), 1997.