Apparel - Juli 14, 2023

GUEST LIST: INTERVIEW MIT UNCLE TEX

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Es kommt nicht gerade jeden Tag vor, dass man die Gelegenheit hat, sich mit einem Pionier des Hip-Hop in Frankreich persönlich auszutauschen. Uncle Tex sah die Bewegung Anfang der 80er Jahre in der Hauptstadt aufkommen und ist seitdem als Gründer und Leiter von Institutionen, die Pioniere im Bereich Hip-Hop sind, als Graffiti-Künstler, DJ, Autor oder auch als Marketingberater Teil der aktivistischen Kulturunternehmer!

Uncle Tex, Marketingberater und Pionier des Hip-Hop in Frankreich – Bildnachweis: @swelly_x auf Instagram

Rückblick auf 50 Jahre Leidenschaft, Aktivismus und Unternehmertum mit dem Mann, der auch Uncle T genannt wird… S/O Wings & Chill (70 Rue Alexandre Dumas, 75011 Paris) für den Empfang!

Herbby : Was ist deine erste Erinnerung an Hip-Hop ?

Uncle Tex : Rapper’s Delight von The Sugarhill Gang, aber damals wußte ich gar nicht, dass dies Hip-Hop war!

Der Sound kam 1979 heraus, ich war im Collège und für uns waren es einfach nur ein paar Jungs, die über ein Funk-Instrument sprachen.

H: Mit welcher Disziplin hast du damals angefangen?

UT : Ich habe mit Graffiti und Tanz angefangen. Das hat mir am meisten Spaß gemacht, ich wollte nie Rapper werden, ich wollte immer eher im Hintergrund bleiben. Wenn du Graffiti-Künstler bist, sieht man dich nicht und was das Tanzen betrifft, also meine Mutter war ja Tanzlehrerin, deshalb habe ich schon immer gerne getanzt. Ich habe zuerst zu Funk getanzt und bin dann zum Hip-Hop übergegangen.

On Set mit Uncle Tex bei Wings & Chill – Bildnachweis : @swelly_x auf Instagram

H : 1990 hast du GET BUSY ins Leben gerufen und geleitet: das erste Hip-Hop-Magazin in Frankreich! Erzähl uns ein wenig über die Entstehung des Projekts. Wie wurde es bei seiner Veröffentlichung aufgenommen?

UT :1990 gab es in Paris Bandenkriege und die Presse brachte jedes Viertel mit einer bestimmten Gruppe von Rappern in Verbindung, wie z. B. Vitry und Little MC, Saint-Denis und NTM etc. Im selben Jahr gab Public Enemy ein Konzert im Zénith und dieses Event wurde in der Presse kontrovers diskutiert, wieder mit Schlagzeilen wie: ” Skandal um das gegen Weiße gerichtete Konzert im Zénith”…. Diese Artikel habe ich übrigens alle aufbewahrt. Wir waren es leid, keine Stimme zu haben und zu sehen, wie unsere Geschichte von der Mainstream-Presse oder der auf Rockmusik spezialisierten Presse, die Rap nicht mochte, erzählt wurde.

Da ich in der alternativen Rockszene unterwegs war, hatte ich diese Do It Yourself-Kultur. Ich stand dem IZB-Kollektiv sehr nahe, das Ende der 80er Jahre die ersten großen Rap-Konzerte in Frankreich organisierte. Sie brachten mich mit Sear zusammen, der die gleiche Idee hatte, wir tauschten uns aus und brachten dann das Magazin heraus. Wir haben alles von Hand gemacht, damals gab es ja noch keine Computer, also haben wir alle Artikel mit der Schreibmaschine getippt. Die erste Ausgabe haben wir sogar fotokopiert…. Wir besorgten uns Studentenausweise, um die Kopien billiger anfertigen zu können, und hefteten sie dann von Hand zusammen! Wir dachten uns, dass niemand auch nur 2 Francs dafür bezahlen würde, also verteilten wir sie am Abend der Fête de la Musique, dem 21. Juni 1990, anlässlich der Premierenfeier von Rapattitude, der ersten französischen Rap-Compilation. Wir wussten, dass viele Leute kommen würden, und am Ende waren alle voll begeistert!

Daraufhin brachten wir die erste “echte” Ausgabe für 3 Francs heraus. Wir verkauften sie von Hand zu Hand und reichten sie an die wenigen Hip-Hop-Läden der damaligen Zeit weiter, wie etwa Ticaret. Wir hatten ein ganzes Netzwerk von Aktivisten in der Provinz aufgebaut, die Vereine oder Radiosendungen hatten, denen wir das Magazin in Zehnerpacks schickten und die uns das Geld danach zurückschickten… 100 % Eigeninitiative!

On Set mit Uncle Tex bei Wings & Chill – Bildnachweis : @swelly_x auf Instagram

H : Vier Jahre später, 1994, rufst du WICKED ins Leben: die erste Agentur für Street Marketing in Frankreich mit hochkarätigen Kunden wie Def Jam, Bad Boy Records, Sony Music, Loud Records, Warner Music, Rawkus Records…. Erzähl uns ein wenig über diese Erfahrung mitten im Zentrum der Branche.

 

UT : Ich blieb bis 1993 bei GET BUSY und ging dann für ein Jahr in die Schweiz, um beim Label von Sens Unik zu arbeiten, einer der drei größten Hip-Hop-Gruppen dort. Sie hatten ihr eigenes Label gegründet, wir waren zu zweit in der Leitung und in einem Jahr lernte ich alles über das Business, weil wir einfach alles machten: Produktion, Umsetzung, Marketing, Vertrieb, Konzerte, Tourneen etc. Außerdem managte ich auch noch Fabe und LSO.

Daraufhin ging mein Kumpel Côme Chantrel, der zwar sehr wenig bekannt ist, in der Geschichte des Hip-Hop in Frankreich aber durchaus eine große Rolle spielt, in die USA, um mit Russell Simmons zu arbeiten, kurz nachdem er Rush Management gegründet hatte. Er arbeitete ein bis zwei Jahre für ihn und lernte dann Steve Rifkind kennen, der gerade im Begriff war, Loud Records zu gründen. Ich war noch in der Schweiz und er erzählte mir von Loud und sagte mir, dass es schwer sei, dass ich kommen sollte etc. Steve Rifkinds Vater war der Gründer von Spring Records, das die erste echte Rap-Platte vor der Sugar Hill Gang auf einer B-Seite herausgebracht hatte: The Fatback Band. Und Steve hatte die Street-Marketing-Firma SRC gegründet, die ihn Anfang der 90er Jahre auf die Idee brachte, Loud zu gründen. Also ging ich mit meinem Kumpel nach New York, arbeitete drei Monate bei Loud und nahm alles in mich auf, was ich dort sah!

Air Max2 CB ’94 “White/Purple-Black” an meinen Füßen – Bildnachweis : @swelly_x auf Instagram

Als ich nach Frankreich zurückkehrte, war Skyrock noch nicht der erste Anbieter von Rapmusik, das Magazin L’Affiche berichtete über Musik aus aller Welt und war noch nicht auf Rapmusik spezialisiert. Wir sollten die Platten von Fabe und LSO herausbringen, also gründeten wir WICKED und als sie ihren Vertrag unterschrieben, setzten wir ein Budget für Street Marketing durch. Die Aktion war erfolgreich und von diesem Zeitpunkt an riefen mich alle französischen Labels an, um ihre Alben zu veröffentlichen! Ich für meinen Teil pendelte weiterhin wegen meiner Kontakte zwischen den USA und Frankreich hin und her und machte Deals mit den Labels, um US-Rap-Alben in Frankreich zu veröffentlichen. Damals wurden nämlich nicht automatisch alle Kainry-Alben hier herausgebracht. Deshalb habe ich einen doppelten Deal gemacht: Die Amerikaner schickten mir die Promos von allem, was veröffentlicht wurde, wir testeten sie mit französischen DJs, wir übermittelten den französischen Plattenfirmen alle Projekte, die hier funktionieren konnten, und sie stellten ein Budget für Street Marketing bereit, zusätzlich zu allen französischen Rap-Alben. Und dann, gegen Ende der 90er Jahre, wurden wir sogar von Marken außerhalb der Musikbranche wie etwa Nike, Coca-Cola, EA Sports usw. kontaktiert.

Im Grunde bestand unser Know-how darin, junge Menschen in den Städten zu erreichen, was die multinationalen Konzerne nicht schafften. Wir waren also in der Lage, alles, was ein Jugendlicher in den Städten konsumieren konnte, bei den Marken zu vermarkten. Wir haben sogar für Intervilles gearbeitet! (lacht)

Peace, Love, Unity and Having Fun mit Uncle Tex bei Wings & Chill – Bildnachweis : @swelly_x auf Instagram

H : In der Welt der vierten Kunst bist du Mitglied der berühmten Funky French League, einer Crew von DJs und Produzenten, die die Liebe zu Groove und Funk verbindet. Kannst du uns etwas mehr über den Einfluss dieser beiden Stile in der Musikwelt verraten?

UT : Zunächst einmal: Wenn es keinen Funk gibt, gibt es auch keinen Hip-Hop. Disco und Funk stammen aus den 70er Jahren und haben die Entwicklung von Hip-Hop und House beeinflusst. Übrigens war der Gründer der House Music, Frankie Knuckles, ein New Yorker DJ, der nach Chicago zog und in einem Club namens The Warehouse einen Remix alter Disco-Stücke spielte! Groove und Funk sind die Grundlage für 90 % der heutigen Musik.

Uncle Tex, Marketing-Berater und Pionier des Hip-Hop in Frankreich – Bildnachweis : @swelly_x auf Instagram

H : Heute bist du Marketing-Berater für verschiedene Marken, wie etwa Ralph Lauren, Bleu de Paname oder auch French Deal. Worin besteht dein Job? Auf welchen Gebieten hilft dir deine Erfahrung im Street Marketing der frühen 90er Jahre dabei, dich 30 Jahre später im Marketing auszuzeichnen? 

UTFür Marken wie Ralph Lauren bin ich ihr “urbaner Decoder”. Ich helfe ihnen, in der urbanen Welt Fuß zu fassen, mit den naheliegenden und relevanten Botschaftern zusammenzuarbeiten und authentische Aktionen durchzuführen. Bei BDP und French Deal kommen die Gründer aus der Bewegung, also arbeite ich mit ihnen an ihrer Gesamtstrategie und der Umsetzung auf operativer Ebene. Ich habe überhaupt kein Marketingstudium absolviert, sondern war ursprünglich Geschichtslehrer! (lacht) Ich habe keinerlei theoretische Marketingkonzepte oder -kenntnisse, sondern habe alles in der Praxis gelernt. Dank all meiner Erfahrungen mit Street Marketing seit den frühen 90er Jahren bin ich Marketingberater geworden.

On Set mit Uncle Tex bei Wings & Chill – Bildnachweis : @swelly_x auf Instagram

H: Zusammen mit François Gautret und Comer  gehörst du zu den Autoren des im Larousse-Verlag erschienenen Buches Hip-Hop Culture. Was findet man in diesem Buch? Wie definierst du die Hip-Hop-Kultur?

UT: Nach Street Style mit Tonton Gibs und Tekki Latex ist dies mein zweites Buch bei Larousse. Der Leitgedanke  von Larousse für dieses Werk war, dass es für Menschen von 7 bis 77 Jahren geeignet sein sollte. Es handelt sich keineswegs um ein Buch nur für Spezialisten. Wir haben versucht, die 50 Jahre Hip-Hop in den USA und in Frankreich mithilfe eines populärwissenschaftlichen, zugänglichen und generationenübergreifenden Werkes über sämtliche Disziplinen nachzuzeichnen.

Für mich ist Hip-Hop eine multidisziplinäre Kultur, ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, die letzte Kultur, die im 20. Jahrhundert entstanden ist, und zwar mit Grafik, lyrischer Kunst, Körperkunst und DJing. Kool Herc und die Hip-Hop-DJs haben außerdem alle Grundlagen dieser Disziplin festgelegt, die dann von anderen Musikstilen wie etwa Techno übernommen wurden. Früher machten die Disco-DJs nur “Beatmatching”, um im Takt zu mixen, und die Hip-Hop-DJs erfanden den “Crossfader”, die “Passe-passes”, das “Phasing”… Hip-Hop entstand wie eine Gegenkultur und 50 Jahre später ist dies die Popkultur!

Air Force 1-Modell an den Füßen von Uncle Tex – Bildnachweis : @swelly_x auf Instagram

H : Was können wir von Uncle Tex in den kommenden Monaten erwarten?

UT : Also, kein neues Buch mehr dieses Jahr… (lacht) Mit der Funky French League haben wir gerade die Kompilation  Frenchy but Funky bei Warner herausgebracht und bis Ende des Jahres werden weitere Veröffentlichungen von Platten folgen. Außerdem haben wir kürzlich im Mazette ein großes Event mit dem Namen Upside Down initiiert, das in Kollaboration mit dem Kollektiv Osoul alle zwei Wochen vom 19. April bis zum 20. September rund ums Tanzen stattfindet!

On Set mit Uncle Tex bei Wings & Chill (70 Rue Alexandre Dumas, 75011 Paris) – Bildnachweis : @swelly_x auf Instagram